Interview mit Bo Ningen «Wir wollen aus der Szene ausbrechen»

Es gibt Bands, die muss man einfach live gesehen haben, um zu wissen, mit was für Musik man sich genau anlegt. Die in London beheimateten Psych-Rocker von Bo Ningen sind eine solche Band. Ihre Musik

Es gibt Bands, die muss man einfach live gesehen haben, um zu wissen, mit was für Musik man sich genau anlegt. Die in London beheimateten Psych-Rocker von Bo Ningen sind eine solche Band. Ihre Musik wagt sich von psychedelischem Prog-Rock über energiegeladene Heavy-Metal Wände bis hin zu obskuren, japanischen Klängen.

Die Wände wackeln, die Augen werden durchgehend von Scheinwerfer geblendet und eine wuchtige Soundmauer baut sich vor einem auf. Und auch wenn die Musik von Bo Ningen nicht Jedermanns Sache ist, so bleiben bei Liveauftritten der vier gebürtigen Japanern die Mundwinkel bei kaum einem Zuschauer zu. Konzertbesucher der diesjährigen Bad Bonn Kilbi können dies bestätigen.

In einer kleinen Bucht am Schiffenensee, in einem ganz anderen Ambiente, als man ihre Musik sonst zu kategorisieren pflegt, trafen wir Bo Ningen vor ihrem Auftritt auf der Hauptbühne und sprachen mit ihnen über das Leben in London, den Einfluss der japanischen Untergrundszene und ihre Kollaboration mit den Post-Punkerinnen von Savages.

Bo Ningen Bad Bonn Kilbi 2015

Bo Ningen gibt es ja erst seit du – Taigen – vor ein paar Jahren Kohhei an einem Konzert in London getroffen hast.

Taigen: Wir zogen alle unabhängig voneinander nach London und haben unterschiedliche Hintergründe. Ziemlich zufällig sind wir in London aufeinander getroffen. Es war eher eine gute Koexistenz, als dass wir gewollt eine Band mit japanischen Wurzeln gründen wollten.

Habt ihr heute noch Kontakte zur japanischen Underground Szene?

Taigen: Wir kommen aus unterschiedlichen Teilen Japans. Tokyo und Osaka als Beispiel haben völlig verschiedene Szenen. Die meisten Musiker und Bands dieser Szene haben wir aber erst kennengelernt als wir in London waren. Diese Underground Bands sind in Japan ziemlich unbekannt, obwohl sie ziemlich gut wären. In den USA und Europa treffen sie aber auf eine grosse Fangemeinde. Wegen dieser Fangemeinde spielen diese Bands auch öfters in Europa oder den Staaten, als zu Hause in Japan. Das war auch ein bisschen der Grund, warum wir nach London gezogen sind. Erst hier sind wir durch Konzerte auf all diese Fanatiker getroffen. Wir waren am Anfang ziemlich geschockt, aber lernten gleichzeitig all diese obskuren Musiker und Bands aus Japan kennen, als sie in London spielten.

Woher kommt eure Inspiration? Eher aus der westlichen Szene oder aus eurer Heimat Japan?

Taigen: Ich denke von überall. Auf jeden Fall nicht nur aus Europa oder nur aus Japan oder den Staaten. Als wir anfingen, zusammen Musik zu machen, hörten wir viel japanische Undergroundmusik, was sicherlich ein grossen Einfluss hatte. Heute probieren wir unseren Horizont so weit wie möglich zu öffnen.

Ihr singt auf Japanisch, manchmal aber auch auf Englisch. Wie entscheidet ihr in welcher Sprache einzelne Passagen eurer Lyrics gesungen werden sollen?

Taigen: Es ist ein natürlicher Weg, der während dem Schreiben der Texte oder während des Improvisierens seinen Lauf nimmt. Englisch fühlt sich in Bezug auf das Schaffen von neuen Melodien und Texten nicht so vertraut an, wie wenn ich dies in Japanisch tue. Englisch kann aber auch zu geradlinig wirken, wo hingegen Japanisch sehr viel komplizierter klingt. Auch ergeben sich andere Möglichkeiten, wenn ich auf Japanisch singe. Die meisten Leute verstehen dann nicht, was ich singe, stellen sich aber ihre eigene Bedeutung meiner Worte vor. So entstehen für den Hörer andere Bilder, als über was ich eigentlich singe. Genau dieses Missverständnis der Sprache sehe ich aber als positive Auswirkung auf unsere Musik.

Sind für euch auch die unterschiedliche Aussprache und der Klang entscheidend, in welcher Sprache welche Textzeilen gesungen werden?

Taigen: Ja – sehr sogar. Auf dem letzten Album sang ich ein paar Zeilen in Englisch, weil ich die Sprache als eine Art Instrument einsetzen wollte. Meine Stimme ist auch wie ein Instrument – nicht im Sinne einer Bass-Gitarre, sondern als erweiterter Gesang. Japanisch ist mein Hauptinstrument und hat andere Höhen und Klänge als Englisch.

Denkt ihr eure Musik kelänganders wenn ihr immer noch in Japan zuhause wärt?

Kohhei: Die japanische Underground Szene ist extrem spannend, auch ziemlich eigen. Du spielst dort immer an den gleichen Orten, mit den selben Bands und vor dem gleichen Publikum. Es ist ziemlich schwierig dort auszubrechen. Als eine Musikszene ist sie aber bestimmt spannend. Wir als Bo Ningen wollen aber lieber aus dieser Szene ausbrechen. Wenn wir in Japan geblieben wären, würden wir wohl viel stärker wie andere japanische Bands klingen.

Sprechen wir über eure Platte Three: Die meisten eurer früheren Aufnahmen entstanden live. Dieses Album entstand im Studio.

Taigen: Die Aufnahmen sind immer noch live eingespielt, aber halt innerhalb eines Studios. Das ganze Album hatten wir ziemlich schnell zusammen. Der Unterschied zu früheren Aufnahmen liegt in der Produktion. Auch beim zweiten Album war der Prozess relativ ähnlich. Mit Three haben wir das Ganze einfach auf ein neues Level gehoben. Wir haben mehr Zeit im Prozess verbracht und mehr Ideen einfliessen lassen, wie wir unseren Sound verändern könnten.

Wollt ihr das in Zukunft so beibehalten?

Taigen: Ich denke jedes Album hat sein eigenes Konzept. Wir wollen sicherlich wieder was neues ausprobieren, vielleicht einen anderen Prozess oder mit einer neuen Herausforderung an die Sache herangehen.

Könntet ihr euch auch vorstellen, einen Song hier am See – an der Bad Bonn Kilbi – zu schreiben?

Taigen: Die Atmosphäre hat sicherlich einen wichtigen Effekt auf unsere Musik. Hier würde sich wohl ein anderes Album ergeben [lacht]. Als wir in Amerika gelandet sind, war das Wetter so schön und die Leute so freundlich. Ich dachte mir, wenn wir hier Musik machen würden, würde das komplett anders klingen. Verglichen beispielsweise mit England, wo es doch eher bewölkt und kalt ist. Wir sind aber glücklich, in London zuhause zu sein.

Letztes Jahr habt ihr mit Savages zusammengearbeitet. Words To The Blind ist eine 37-minütige Aufnahme, die ihr zusammen eingespielt habt. Wie war diese Zusammenarbeit?

Taigen: Es war ein Prozess, den wir als Band noch nie so durchgemacht haben. Gemma, die Gitarristin der Savages kam mit der Idee einer Kollaboration auf uns zu. Jenny, die Sängerin von Savages, sang bereits über einen unserer Songs und wir waren begeistert von der Idee eines gemeinsamen Projektes.

Taigen: Insgesamt sind es fünf Kapitel und jedes Kapitel baut auf einem eigenen Konzept oder einer rauen Idee auf. Wir verstanden uns gut im Studio und wussten von vornherein bereits, dass wir keinen fertigen Song schreiben, sondern über gewisse Abschnitte improvisieren werden. Am Anfang waren wir zwar ein wenig besorgt, wie das Ganze klingen würde, wenn zwei Drums, zwei Bassgitarren, drei Gitarren und zwei Gesänge zeitgleich aufeinander treffen. Wir dachten das wird ein riesiges Chaos. Es kam aber ganz anders. Jeder fand seinen eigenen Platz. [An dieser Stelle empfohlen ist die aufgezeichnete Liveperformance von Boiler Room]

Man darf gespannt sein, welchen japanischen Musikexport die Bad Bonn Kilbi wohl für 2016 einfliegen lässt. Wir wissen aber schon jetzt, dass wir uns solche Bilder sicherlich nicht entgehen lassen wollen.

Für alle die nicht solange warten mögen: Kilbi ist Imfall auch dieses Wochenende. Zwar ausnahmsweise nicht in Düdingen, dafür aber im Palace und in der Grabenhalle in St. Gallen. Unter anderem mit Jessica Pratt, Suuns & Jerusalem in My Heart.