Mavi Phoenix: «Muss ich wirklich so ein Fass aufmachen?»

Mavi Phoenix dokumentiert auf seinem Debütalbum «Boys Toys» seinen Weg zur Transidentität. Im Interview erklärt der 24-jährige Österreicher, wie ihm das in Zeiten existenzieller Nöte zugute kommt.

Am Samstag, 20. Juni, hatte das B-Sides einen Slot für Mavi Phoenix reserviert. Der österreichische Self-Made-Rapper veröffentlichte nach Jahren voll gleissender EPs am 3. April sein Debütalbum «Boys Toys».

Der von Autotune und Eigensinn geprägte Sound ging seit der EP «My Fault» 2014 um die Welt, der Mensch hinter der Kunstfigur war lange weit weniger publik. Bekannt war, dass Mavi Phoenix als Marlene Nader in Linz geboren wurde, sich das Musikmachen mit einem Mac Book und Garage Band beibrachte, 2017 das eigene Label LLT Records gründete und Frauen liebt. Im Sommer 2019 geriet das Basiswissen kurzzeitig ins Wanken, bis Mavi Phoenix im Januar über Social Media klarstellte: «Ich bin ein Transmann». Die Kurzversion: Mavi Phoenix bleibt Mavi Phoenix, aber aus Marlene wurde Marlon.




Statt Festivalvorfreude eine Liebeserklärung ans Leben 

Nach der offiziellen Absage aller Grossveranstaltungen wird das B-Sides 2020 weder für Phoenix noch sonst einen Act eine Bühne auf den Sonnenberg bauen. Immerhin funktionieren Interviews noch fast wie eh und je. Via Google-Hangout beamte sich Marlon Hader vom Wiener Zuhause in unser Home Office, um «Boys Toys» zu erklären.

Marlon, als «Boys Toys» erschienen ist, befanden sich weite Teile der Welt längst im Lockdown, die Zukunft von Live-Konzerten steht derzeit in den Sternen. Wie fühlt es sich an, in so einer Zeit ein Debütalbum zu veröffentlichen? Noch dazu ein dermassen persönliches.

Marlon Nader: Die Situation ist auf jeden Fall seltsam. Wir haben kurz überlegt die Veröffentlichung zu verschieben, ich habe mich dann aber dagegen entschieden. Das Album war fertig, und als solches bleibt es ja auch bestehen. Gerade weil es so persönlich ist, war es für mich sehr dringlich, dass es frühstmöglich erscheint.

Inwiefern?

Mit der Veröffentlichung konnte ich psychisch einiges abarbeiten. Jetzt ist ein Fundament da, auf das ich aufbauen kann. Das gibt mir ein sehr gutes Gefühl.

Dass die Corona-Krise Künstler wie dich finanziell besonders hart trifft macht dir keine Angst?

Der finanzielle Aspekt macht mir schon Angst, doch. Aber ich habe Gott sei Dank Leute, die sich ums Geld kümmern, daher kann ich das Thema derzeit ganz gut verdrängen. Ausserdem kommt eh alles immer so wie es kommen muss.

Du hast Urvertrauen?

Ja. Die Quarantäne trifft mich aber auch einfach nicht so hart.

Mit wem bist du denn in Quarantäne?

Ich bin nicht alleine, so viel kann ich dazu sagen. Ich meinte damit aber mehr, dass ich eh viel daheim sitze, wenn ich nicht gerade auf Tour bin. Ich arbeite von zuhause aus, und es gibt nach wie vor immer etwas zu tun; Emails schreiben, Buchhaltung machen, oder wie jetzt, Interviews führen.

Du fühlst dich nicht isoliert?

Natürlich vermisse ich es, Konzerte zu spielen, und die Freunde gehen mir ab, aber wegen meiner Gender Dysphorie geh ich eh nicht gern unter Leute. Zu wissen, dass mich jeder als Frau ansieht, ist sehr schwierig für mich. Es wird sicher interessant, wenn ich mit den Hormonen anfange.

Wo stehst du bezüglich? Du meintest ja, die Veröffentlichung des Albums sei für dich psychologisch ein wichtiger Schritt gewesen.

Das war es, absolut. Jetzt versuche ich gerade musikalisch nachzuziehen und neue Songs zu schreiben. Das fällt mir aber gerade doppelt schwer, weil sich meine Stimme durch die Hormone verändern wird.




Du hast die Therapie aber noch nicht angefangen?

Nein, ich bin mir noch nicht zu 100% sicher. Aber zu 99. Ich möchte.

Wenn du so erzählst: Es klingt fast, als würdest du deine private Entwicklung musikalisch in Echtzeit spiegeln.

Das ist auch so. Die Musik hinkt nach, weil ich sie selber schreibe und produziere. Zum Zeitpunkt als ich «Bullet in my heart» veröffentlichte, hatte ich erst mit ein paar wenigen Leuten in meinem Umfeld über meine Gender Dysphorie gesprochen. Es war noch sehr früh, öffentlich zu sagen, dass ich ein Transmann bin. Ich glaube, ich hatte ich einfach Angst.

Was war denn deine Intention mit dem Outing, Gender Dysphorie zu haben?

«Bullet in my heart» ist entstanden, weil ich klarstellen musste, dass ich keine Frau bin. Mir war mir auch wichtig, dass das nicht komisch rüberkommt, es ist ja absolut nichts verkehrt daran, eine Frau zu sein – ich bin halt einfach keine.

Warum war es dir wichtig, das klarzustellen?

Es gibt Leute, die mir jetzt Dinge schreiben wie: «Warum musst du jetzt unbedingt ein Mann sein, du kannst ja auch einfach eine coole Frau sein.» Aber es ist einfach so etwas essentielles, dass man sich in seinem Körper wohlfühlt. Ich glaube, Gender Dysphorie ist sehr schwer nachzuvollziehen, wenn man diese Gefühle nie selber erlebt hat.

Magst du erklären?

Ja, ich versuche es gerne, ich kann aber nicht versprechen, dass man es versteht.

Bitte!

Ich hatte diese Gefühle schon mein ganzes Leben lang, aber habe sie gehasst und verdrängt. Ich versuchte alles, was an mir irgendwie männlich war, auszumerzen. Weil ich in einem hübschen Frauenkörper steckte, dachte ich, ich könne unmöglich ein Mann sein. Ich hatte komplett bescheuerte Klischées im Kopf und gab dem Stigma nach. Dass ich transgender bin, konnte ich selber erst akzeptieren, nachdem ich mich aktiv dazu entschieden hatte, meine Gefühle nicht mehr zu ignorieren.




Eine Konsequenz davon war, dass du dein Instagram-Profil neu aufgesetzt hast. Dort existiert Mavi Phoenix erst seit 16. Juli 2019, dem Release-Tag von «Bullet in my heart.» Die Interpretation liegt nah: Musste Marlene sterben, damit Marlon leben kann?

Ja, und das ist etwas, womit ich bis heute hadere. Ich hasse die Person, die ich war, ja nicht. Ich weiss, dass ich auch Marlene bin – oder zumindest gewesen bin, soweit es mir möglich war. Aber wenn ich singe «I take a bullet in my body just for you», dann meine ich damit mich selber: die Marlene stirbt, damit der Marlon überhaupt Platz hat. Trotzdem kämpfe ich mit Fragen: Will ich das echt alles hinter mir lassen? War es wirklich so schlimm, dass ich hier jetzt voll das Fass aufmachen muss? Eigentlich weiss ich, dass es nur besser werden kann.

Wie schlimm war es denn früher?

Ich hatte an nichts Freude und spürte eigentlich schon sehr früh, dass ich so normal nicht glücklich werden kann. Ich wusste nicht warum, aber mir war klar, dass irgendetwas gar nicht passt. Dann dachte ich, ich muss berühmt werden, viel Geld haben und cool sein, damit ich wenigstens irgendwas vom Leben hab.

Was hat dich davon überzeugt, dass das, was nicht passte, dein biologisches Geschlecht war?

Es hat geholfen, dass ich nie das Gefühl hatte mein eigenes Leben zu leben. Ich wollte unbedingt eine Persona kreieren, damit ich ausbrechen kann; dass ich mich Sachen trauen kann, die ich mich als Marlene nicht getraut hätte. Ich glaube, im Endeffekt gab mir Mavi Phoenix das Selbstbewusstsein, meine männliche Seite zuzulassen. Ich traute mich immer mehr und mehr, bis ich merkte: Okay, ich bin ein Mann.

Wann passierte dieser Aha-Moment?

Vor meiner Ex-Freundin hatte ich es zum ersten Mal ausgesprochen. Sie fragte immer wieder nach, ob ich in der Sache etwas unternehmen oder zumindest reden wolle, aber ich habe jahrelang abgewunken und gemeint, na na, alles gut. Gegen Ende 2018 begann ich meine Transidentität zu akzeptieren. Ich fing an, mich im Internet einzulesen. Auf Youtube fand ich Videos von Transmännern, die ihr Leben leben und super aussehen; Transmänner, bei denen alles cool ist.

Du brauchtest Vorbilder.

Absolut. Es war wichtig für mich zu sehen, dass man als Transgender-Person ein schönes Leben haben kann.

Auf «Boys Toys» legst du dir Szenarien zurecht; verschiedene Männertypen, die du sein könntest. Hast du schon etwas gefunden, womit du dich wohlfühlst?

Nein, noch nicht. Ich habe mich mein Leben lang gefragt, was für eine Frau ich bin und kam zum Ergebnis: Ich bin keine Frau, ich bin ein Mann. Jetzt muss ich… Ich muss gar nichts, aber mit dem Album versuchte ich, meine Gedanken abzuarbeiten: Wie würde das aussehen, Mavi Phoenix als Mann? Wer könnte das denn sein? Ich bin ein Mensch, der gerne alles plant, aber mir wurde bewusst, dass ich die Dinge auf mich zukommen lassen muss. Man kann einfach nicht planen, wer man ist. Das ist ja die Nummer eins Frage im Leben: Wer bin ich? Im Endeffekt ist die Antwort aber scheissegal, solange du lebst, Spass am Leben hast und dabei locker bleibst. Das versuche ich jetzt mehr.

Es muss sich auch niemand Sorgen machen, dass du plötzlich sexistische Sprüche klopfst wie auf «12 Inches»?

Nein, ich bin kein Sexist. Die «I fuck your mama»-Zeile ist die einzig sexistische auf dem ganzen Album, und mit dem Song wollte ich einfach trotzig sein. Ich habe das Gefühl, wenn Cis-Männer rappen und ihren Scheiss verzapfen, sagt kaum jemand etwas. Ich wollte testen, wie die Leute reagieren, wenn ich sage «I’m just your average guy» und mich dann auch verhalte wie der Durchschnittstyp. Der average guy ist ja vielleicht gar nicht mal so cool. Wenn die Leute dann aber meinen, ich müsse als Transmann die Frauenprobleme besser verstehen, finde ich das einfach transphobisch. Natürlich weiss ich, wie es ist als Frau durchs Leben zu gehen, und ich habe auch viele weibliche Seiten an mir, aber ich bin deswegen nicht weniger Mann. Und das sag ich völlig wertfrei. Vielleicht ist das auch richtig scheisse, weil Frauen voll cool sind.

Du hast nach deinem Transgender-Outing im Januar Follower verloren. Als öffentliche Person ist man auch Hass gegenüber exponierter.

Ja, mit dem Outing habe auf einer sehr persönlichen Ebene viel von mir hergegeben und natürlich benutzen das auch viele Leute, um mich anzugreifen. Das nimmt mich natürlich mit. Gleichzeitig bekomme ich auch viele positive Nachrichten. Ich versuche mich auf weder noch zu konzentrieren, sodass ich am Ende des Tages in den Spiegel schauen und mit Überzeugung sagen kann: Ey, ich mach alles richtig – und das kann ich. Ich glaube, das ist das Wichtigste.




Das bringt mich zurück zur Corona-Krise: Glaubst du, dass Leute wie du, die sich aus eigener Initiative oder vielleicht auch notgedrungen bereits intensiv mit sich selber auseinandergesetzt haben, besser auf existenzielle Krisen vorbereitet sind als andere?

Ja, hab ich schon das Gefühl, wenn ich ehrlich bin.

Als du 2017 mit Bilderbuch auf Tour warst, meintest du, es sei dein Wunsch und Ziel, eine musikalische Ikone zu werden. Deine Begründung damals: “Weil ich glaube, dass ich es könnte.” Siehst du das immer noch so?

Haha, wie bescheiden! Aber ja, ich sehe das immer noch so, sogar mehr als früher. Ich bin aber älter geworden und würde es sicher anders formulieren.

Was macht eine musikalische Ikone für dich aus?

Ich glaube, eine musikalische Ikone zu werden bedeutet viele neue Wege aufzumachen. Viel auszuprobieren und mutig zu sein. Das klingt einfach, aber ich glaube, viele, die heute anfangen Musik zu machen, unterschätzen diesen Punkt. Dabei ist doch genau das das Wichtigste: dass es frisch bleibt, und dass der Künstler den Leuten das Gefühl gibt, dass er seine Musik ernst nimmt, aber nicht zu ernst. Weil das ist dann wieder unsexy.

«Boys Toys» ist über Mavis Eigenlabel LLT Records erschienen und gibt’s auf Bandcamp, Schweizer Promo- und Bookingpartner ist Radicalis.